Woher kommt der Hype um das Festival?


Hannover. Als „Traum“ bezeichnet Diego Montoya seine anstehende Reise nach Belgien. Als diesen „einen wichtigen Punkt auf der Bucket-List“, dieses eine Ereignis, das man im Leben mindestens einmal mitgemacht haben muss. Und für dieses Erlebnis scheut Montoya keine Kosten und Mühen: Rund 1300 Euro hat der 28-Jährige pro Person für Tickets, Unterkünfte und Bahnkarten ausgegeben – der Preis für den separaten Flug ist da noch nicht eingerechnet.

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Das anstehende Tomorrowland-Festival im belgischen Boom, in der Nähe von Antwerpen, ist ein Event, für das Diego Montoya nicht nur hunderte Euro investiert – er nimmt dafür sogar eine tagelange An- und Abreise in Kauf. Der 28-Jährige lebt in der mexikanischen Hauptstadt Mexiko Stadt, ein Direktflug Flug nach Europa dauert etwa elf Stunden. Gelandet in Deutschland wird Diego mit der Bahn nach Belgien reisen, ehe er endlich seine Lieblings-DJs auf der Bühne sehen kann.

Das sei auch der Hauptantrieb für den Aufwand, sagt Montoya dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Schon seit Highschool-Zeiten träumen ich und meine Freundin davon, unsere Lieblings-DJs einmal Live zu sehen.“ Und beim „Tomorrowland“ sind einfach alle da: Steve Aoki, Tiesto, die Swedish House Mafia, Lost Frequencies, Dimitri Vegas und Like Mike – nur einige von Diegos Lieblingsstars. Er habe sich einen akribischen Festival-Plan gemacht, um alle wichtigen Acts sehen zu können, sagt er. „Dazwischen versuche ich ein bisschen zu schlafen und gelegentlich was zu essen“.

Der Niederländer Armin van Buuren, hier bei einem Auftritt in Brasilien, spielte schon auf dem ersten Tomorrowland 2005. Auch heute ist er regelmäßiger Gast bei dem Festival.

Der Niederländer Armin van Buuren, hier bei einem Auftritt in Brasilien, spielte schon auf dem ersten Tomorrowland 2005. Auch heute ist er regelmäßiger Gast bei dem Festival.

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Besucher aus 200 Ländern der Erde

Die Geschichte von Diego Montoya ist kein Einzelfall: Jedes Jahr im Sommer zieht das belgische EDM-Festival hunderttausende Besucherinnen und Besucher aus aller Welt an, allein 2023 kamen laut Veranstaltern 400.000 Gäste. Am kommenden Freitag, 19. Juli, geht die Event-Reihe in die nächste Runde.

Das Tomorrowland gilt nicht nur als eine der wichtigsten Veranstaltungen aus dem Bereich der Dancemusik mit einem der besten Line-Ups – es gilt auch als Event der Völkerverständigung. Besucherinnen und Besucher reisen jedes Jahr aus über 200 Ländern der Erde an. Gefeiert wird, von den üblichen Delikten mal abgesehen, in der Regel friedlich und gemeinschaftlich.

Das hat sich sogar bis nach Mexiko rumgesprochen. „Natürlich gibt es auch vergleichbare Festivals in Nordamerika“, sagt Diego Montoya. Den 28-Jährigen allerdings zieht es trotzdem lieber nach Belgien. Das Festival mit seinen aufwändig inszenierten Bühnensets, die einem Märchenland gleichen, genießt einen ganz besonderen Ruf. Und: „Das Line-Up anderer Festivals ist einfach nicht so gut wie beim Tomorrowland“, sagt Montoya. „Viele haben nur zwei oder drei große Headliner und daneben eher unbekannte DJs“. In Belgien sei das anders: Allein auf der Mainstage würden am Tag rund zehn bekannte Acts mit großen Namen spielen, so der Musikfan.

Den Start des Ticketvorverkaufs haben Montoya und seine Freundin in diesem Jahr akribisch verfolgt, um nicht leer auszugehen. Unmittelbar bei Verkaufsstart haben sie über die Website bestellt. Konkret: Ein Kombi-Paket mit dem Namen „Magnificent Greens“, für mehrere Tage, das auch Transport und Bahnreisen beinhaltet. „Es war sicher der höchste Preis, den ich jemals für eine Musikveranstaltung ausgegeben habe“, sagt der 28-Jährige. „Aber ich bin mir sicher, es wird sich lohnen.“

Festival beginnt in der Nische

Um den Hype um das Tomorrowland zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Anfänge des belgischen Großevents: Im Herbst 2004, also vor ziemlich genau 20 Jahren, wird die Veranstaltungsreihe von den Brüdern Michiel und Manu Beers erdacht – zwei Unternehmer, die bereits Erfahrung in der Veranstaltungsbranche haben. Es ist eine Zeit, in der elektronische Musik nach den wilden Neunzigerjahren aus dem Mainstream nahezu verschwunden ist. Radiosender spielen vorzugsweise Rock und Hip Hop – und das Festival beginnt in gewisser Weise in der Nische.

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Auch die damaligen Acts sind bei weitem noch nicht so bekannt wie heute. Das gilt etwa für den Franzosen David Guetta, der damals mit ersten Achtungserfolgen in den Charts die Szene begeistert. Guetta spielt auch auf dem allerersten Tomorrowland am 14. August 2005, das damals noch ein eintägiges Festival ist. Weitere Namen auf der Stage: Ferry Corsten, Sven Väth, Technoboy, Armin van Buuren, Monika Kruse und Yves Deruyter. Das spärlich ausgestattete Bühnenset besteht aus einigen Bannern und weißen Würfeln.

Feuerwerk bei einem Auftritt der Chainsmokers auf dem Tomorrowland-Festival.

Feuerwerk bei einem Auftritt der Chainsmokers auf dem Tomorrowland-Festival.

Die Auftaktveranstaltung läuft allerdings derart erfolgreich, dass sich die Besucherzahl in den Folgejahren immer weiter steigert. 2007 wird das Tomorrowland-Festival erstmals an zwei Tagen abgehalten, im Folgejahr überschreitet die Besuchermarke erstmals die Zahl 50.000. 2009 kommen bereits 90.000 Menschen auf das Festival, 2010 sind es 120.000. Ein Jahr später wird die Veranstaltungsreihe auf drei Tage ausgeweitet. Innerhalb weniger Tage wird das Event mit 180.000 Besucherinnen und Besuchern als ausverkauft gemeldet.

Zu dieser Zeit wandelt sich auch der Blick auf elektronische Tanzmusik: Rapper aus den USA beginnen plötzlich, ihre Songs mit wummernden Dance-Beats zu unterlegen – die Musikrichtung findet auch dank Künstlern wie Usher oder Taio Cruz den Weg zurück in den Mainstream. Ab Mitte der 2010er Jahre erlebt EDM dann weltweit einen derartigen Boom, dass das Tomorrowland bei seiner Jubiläumsausgabe 2014 an gleich zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden stattfindet. Alle 360.000 verfügbaren Karten sind binnen einer Stunde ausverkauft.

Der rasante Erfolg des Festivals lässt sich aber nicht nur mit dem neuen Aufwind der elektronischen Musik erklären: Das Tomorrowland ist auch ein Social-Media-Phänomen. Schon ab Ende der Nullerjahre Jahre produzieren die Veranstalter für die Evenreihe eigene Aftermovies. Ab Anfang der 2010er werden aus den anfangs noch recht unspektakulären Filmchen regelrechte Hochglanzproduktionen, die ein enormes Publikum finden. Allein der Aftermovie aus dem Jahr 2012 wird auf Youtube 184 Millionen Mal angesehen.

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Die Clips zeigen überglückliche, tanzende Menschen in Slow-Motion. Sie tragen Blumen im Haar und schwenken vor der beeindruckenden Kulisse eines Riesenrads ihre Landesflaggen. Die Videos zeigen das inzwischen überaus aufwendig gestaltete Bühnenbild, das mit Türmchen, Fabelwesen oder Regenbögen verziert ist. Zu sehen sind Feuerwerke bei denen sich Festivalgänger mitten in der Nacht weinend in den Armen liegen. Und immer wieder werden Besucher in die Clips geschnitten, die die besondere Internationalität der Konzertreihe betonen. Auf dem Tomorrowland kommt die ganze Welt zusammen – denn die Sprache der Musik ist überall gleich.

Alles in diesen Videos schreit: Wer hier nicht mitmacht, der verpasst etwas Außergewöhnliches. Es ist ein ähnliches Konzept, das auch das Popfestival Coachella mit seiner Riesenrad-Kulisse erfolgreich gemacht hat. Beim Tomorrowland sieht einfach alles aus wie der perfekte Instagram-Post.

Ein Hochglanz-Märchenland

Zum Marketing gehört auch, dass sich das Tomorrowland weniger als bodenständiges Festival inszeniert, sondern vielmehr als Hochglanz-Märchenland. Zwar kann man auf dem Gelände auch klassisch Zelten – das Tomorrowland bietet aber auch Glamping-Hütten an. Wer den puren Luxus in einer hölzernen Ferienwohnung haben möchte, kann die Preise für zwei Personen auf über 5000 Euro hochtreiben – was natürlich auch für eine bestimmte Festival-Klientel spricht.

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Bilder, in denen sich Menschen im Schlamm robben, sieht man auf dem Tomorrowland nicht, stattdessen legen die Veranstalter wert auf ein cleanes Image. Von Laternen über Mülleimer bis zur Toilette – alles ist speziell für das Festival entworfen. Manche finden das einem Festival nicht würdig. Das Magazin „Vice“ schrieb vor Jahren einmal: „Es ist einfach (…), als würde man in einem gut gepflegten Country- oder Golfclub, ein Festival für die Kids und Junggebliebenen veranstalten. Korrekt, versnobt, verstaubt.“

Darüber hinaus verfolgt der Veranstalter eine harte Null-Toleranz-Politik bei Drogen: Wer einmal mit verbotenen Substanzen auf dem Festival erwischt wird, bekommt lebenslanges Hausverbot. „Vice“ schlussfolgert: „Irgendwie schien einfach alles verboten zu sein, was auf einem Festival Spaß macht.“

Belgien und Niederlande sind eine EDM-Hochburg

Und dann wäre da nicht zuletzt das besondere Line-up der Festival-Reihe. Das Tomorrowland hat nahezu alle bekannten DJs – und das dürfte auch daran liegen, dass es an der besten Quelle sitzt. Viele der Weltstars aus dem Dance-Music-Bereich stammen entweder aus Belgien selbst, vor allem aber aus dem Nachbarland, den Niederlanden.

In der Region hat elektronische Musik eine lange Tradition, die Szene ist eng vernetzt und fördert auch den DJ-Nachwuchs konsequent. „In den Niederlanden regnet es viel, also bleiben wir zu Hause und machen Musik“, sagte einmal der bekannte DJ- und Produzent Martin Garrix.

Viele der ersten Tomorrowland-Acts, etwa Ferry Corsten, Armin van Buuren und Yves Deruyter stammen aus den Niederlanden und brachten dem Event erste Popularität. Viele der Acts, die Diego Montoya heute als als seine Lieblingsstars aufzählt, kommen ebenfalls aus der Region. Tiesto etwa ist Niederländer, Lost Frequencies und Dimitri Vegas und Like Mike kommen aus Belgien. Das Tomorrowland ist organisch gewachsen – in einer Region, die EDM nie als Hype begriffen hat, sondern die ohnehin für elektronische Tanzmusik lebt.

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Ein Festival, eine Familie

Auf dem Tomorrowland habe immer eine überaus familiäre Atmosphäre geherrscht, sagte auch Miriam Nervo vom australischen DJ-Duo Nervo einmal dem „Billboard“-Magazin. „Es ist eine positive Familiengemeinschaft, und das haben wir bei anderen Festivals nicht gespürt.“ Das Tomorrowland sei außerdem dafür bekannt, konsequent weibliche Produzentinnen und DJs zu fördern.

Fast ein bisschen erstaunlich: Selbst die Corona-Pandemie konnte das Tomorowland-Festival nicht in die Knie zwingen – trotz zwischenzeitlicher finanzieller Probleme aufgrund der Absagen 2020 und 2021.

Während andere Großveranstaltungen noch immer mit Problemen kämpfen, sind die Besucherzahlen Tomorrowland heute wieder auf ähnlichem Niveau wie bei der Prä-Corona-Ausgabe 2019. Die klassischen Tickets für 2024 waren in diesem Jahr nach nur zwei Minuten ausverkauft, sämtliche Pakete nach 27 Minuten.



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