So klingt das zehnte Album „Moon Music“


Die Zwölf – in der Zahlenmystik eine besondere Zahl So viele Monate hat das Jahr, so viele Stunden das Zifferblatt. 160 Mal kommt die Zahl in der Bibel vor, zwölf Jünger hatte Jesus. Zwölf Alben brachten die Beatles hervor. Genauer gesagt – denn die Beatles waren ja immer was Besonderes – zwölfeinhalb, wenn man den Soundtrack „Yellow Submarine“ dazu rechnet, dessen Rückseite aus Filmmusik von Beatles-Produzent George Martin besteht.

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Eine Beschränkung auf zwölf Alben legt die Messlatte hoch

Und so wollen also auch Coldplay nach einem Dutzend Platten Schluss machen. Dies tat Sänger Chris Martin in dieser Woche in der Zane Lowe Show des Radiosenders Apple Music 1 kund, gutgelaunt, hinzufügend ein „Ja, ich verspreche es“, als wäre dies eine frohe Botschaft für die zig Millionen Coldplay-Fans.

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Die zwölf sei eine „wichtige Grenze“, sie lege die Messlatte für das Schaffen so hoch, „dass es für einen Song fast unmöglich sei, es zu schaffen.“ Also, für einen Coldplay-Song, es auf ein Coldplay-Album zu schaffen. Er verwies auch auf die zwölf, nein nur sieben (immerhin auch eine mystische Zahl) Harry-Potter-Bücher. Und darauf, dass manchem Coldplay-Kritiker ja auch weniger Alben gereicht hätten. Vielleicht sieben? Dann wäre schon nach „A Head Full of Dreams“ (2015) Schluss gewesen. Ein enttäuschender Schluss allerdings. Es war das Album, auf denen Coldplays Gefallsucht unerträglich wurde.

„Moon Music“ ist der zweite Teil über das Planetensystem „The Spheres“

Zehn Songs sind jetzt durch die Qualitätskontrolle geschlüpft und haben es auf das zehnte Coldplay-Album geschafft, das morgen erscheint und „Moon Music“ heißt. Zehn ist zwar eine deutlich weniger mystische Zahl, dafür ist die Mondmusik Teil zwei eines Konzepts, einer Science-fiction-Pop-Trilogie, die vor drei Jahren mit „Music of The Spheres“ begann. Darin ging es um das frei erfundene Planetensystem „The Spheres“ mit seinen neun Planeten, drei Trabanten, einer Sonne und einer Gaswolke, auf die sich die Stücke des Albums bezogen.

Inspiration für ihre schon lange geplante Weltraum-Pop-Oper bezogen Martin, Gitarrist Jonny Buckland, Bassist Guy Berryman und Schlagzeuger Will Champion von den „Star Wars“-Filmen und der Vorstellung wie Musiker anderer Galaxien wohl drauf sein könnten. Man denkt sofort an Figrin D‘an & the Modal Nodes, die Kapelle die im ersten „Star Wars“-Film (1977) in einer Kaschemme im Outlaw-Raumhafen Mos Eisley ihren Spacejazz nudelte. Der Film hieß später positiver „Episode IV: Eine neue Hoffnung“, das Coldplay-Album heißt auch ganz positiv „Vol. 1: From Earth with Love“. Denn eigentlich geht es ja ums menschliche Hauptgefühl: die Liebe.

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Ein Song, der an Pink Floyd erinnerte

Musikalisch? Waren Coldplay nie so schamlos Dancepop wie hier gewesen! „From Earth With Love“ plätscherte in ein Ohr rein und nix wie raus aus dem anderen. „People of The Pride“ klang ein wenig nach Glamrock, „Let Somebody Go“ war eine nicht allzu markante Ballade, die Selena „Only Murders in The Building“ Gomez einen Auftritt an Chris Martins Seite gab. Tiefpunkte waren die Schlumpfstimme von „Biutyful“, waren die nichtssagenden Klangminiaturen unterhalb der Einminutengrenze zwischen den Songs. Für „My Universe“ hatten sie sich mit den global umarmten K-Pop-Göttern BTS zusammengetan. Das Außerirdische war über weite Strecken ziemlich unterirdisch.

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Dann aber war da noch als Kehraus „Coloratura“. Ein elegischer Zehnminüter, bei dem Coldplay auf dem Sci-fi-Gelände anderer, auf der „dark side of the moon“ unterwegs waren. „Prog-Rock-Vibes à la Pink Floyd“ fand nicht nur der „New Musical Express“ sondern auch die ehrwürdige „Times“. Pink. Floyd. Mit denen hatte man Coldplay ja in ihren Anfangstagen verglichen. Und mit diesem längsten Coldplay-Song aller Zeiten gingen seither Erwartungen von Fans der ersten Stunde einher, das neuerlich von Max Martin produzierte „Moon Music“ könnte musikalisch in diese Richtung gehen. Mehr so à la „Shine on, You Crazy Diamond“.

Auf „Moon Music“ klingen Coldplay spacig und zeigen politisch Flagge

Und so ist es auch – ein wenig zumindest: Der Titelsong von „Vol. II: Moon Music“, hat tatsächlich die Anmutung eines Weltraumtrips. Auf einen meditativen instrumentalen Einstieg folgt ein Pianolauf, singt Martin unter Einflechtung von Songtiteln von Pink Floyds „The Wall“, wie ein Adler sein zu wollen, und dabei den Flug in jeder Feder zu spüren. Von ganz ähnlicher Struktur ist „Alien Hits/Alien Radio“ (auf dem Cover „geschrieben“ als Regenbogen-Emoji): Glitzernde Synthwolken schwaden weidlich, erscheinen wie akustische Anmutungen ferner Galaxien, dann setzt das Klavier ein und ein gitarrener Soundbogen schimmert, den Coldplay von Pink Floyds „Comfortably Numb“ entlehnt haben.

„Als es schon aussah, als wollte die Sonne nie mehr scheinen“, zitiert dazu die (2014 verstorbene) amerikanische Bürgerrechtspoetin Maya Angelou einen afroamerikanischen Gospel aus dem 19. Jahrhundert, „steckte Gott einen Regenbogen in die Wolken“. Eine neue Hoffnung.

Ganz anderes klingt „We Pray“, ein orientalisch-electrosinfonischer Rap-Pop, bei dem Martin mit der englischen Rapperin Little Simz, dem nigerianischen Sänger Burna Boy, der Argentinierin Tini und der palästinensisch-chilenischen Sängerin Elyanna aus Israel das Mikrofon teilt. Ein Gebet für Verfolgte, eine Bitte um Schutz. „Wir werden ‚Baraye‘ singen und beten, dass wir das Ende des Tages erleben“, erinnern Singende und Band gemeinsam an den Song des iranischen Sängers Shervin Hajipour „für Frau, Leben, Freiheit“, der übers Internet zum Gesang der iranischen Protestbewegung gegen Unterdrückung vor allem von Frauen durch das Mullahregime wurde. Und den Coldplay im Herbst 2022 in Buenos Aires live mit der iranischen Schauspielerin Golshifteh Farahani gesungen hatten. Auch politisch wird Flagge gezeigt.

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Die Mondmusik ist vielseitig, die Aliens lieben weiterhin auch Discobeats

Sie sind wieder zurück, die Hymnenmacher Coldplay: Die Songs „Jupiter“ und „All My Love“ zeugen davon, könnten den Fans von Bandklassikern wie „Yellow“, „The Scientist“ und „Viva La Vida“ durchaus behagen. Aber „Moon Music“ will schon auch in der kommenden Woche die weltweiten Nummereinsen der Charts besetzen: Beim zweiten Song „Feels Like Making Love“ setzen erstmals die Discobeats ein. Die Mondmusik ist vielseitig, die Aliens lieben eben auch Stroboskope und bunte Flackerlichter und so wird auch in „Aeterna“ oder im – mit Funkmeister Nile Rodgers von Chic geschriebenen und mit der nigerianischen Duettpartnerin Ayra Starr gesungenen – „Good Feelings“ zum Tanz gebeten: Sommer, tolle Musik aus dem Radio, gute Gefühle – „don‘t ever let them go!“.

Der Singalongsong des Albums ist das eigentümlich geschriebene „iAAM“, eine Abkürzung, die für „I Am A Mountain“ steht. „Ich stand auf einem Meer des Schmerzes / lass es regnen / lass es regnen / lass es regnen. / Ich werde zurück auf meinen Füßen sein / denn ich bin ein Berg.“ Die Metaphernpolizei mag Jesus Chris darauf hinweisen, dass ein Berg nur einen Fuß hat, klar ist aber, dass es die „iAAM“-Fangesänge bei den kommenden Konzerten der „Music of The Spheres“-Tour (auch dem anvisierten Zehn-Konzerte-Rekord in Wembley) laut werden lassen in den Stadien der Welt.

„Moon Music“ ist eine Revue all der Sounds, für die Coldplay stehen

„Das letzte richtig gute Album war ‚Viva La Vida‘“, sagte ein Freund neulich im Vorfeld der „Moon Music“-Veröffentlichung. Und dass man sich statt zehn neuer Coldplay-Songs schon lange wahlweise zehn beliebige andere geschliffen produzierte Popmusikstücke zu Gemüte führen könne. Mit dem neuen Album muss man das zumindest ein wenig revidieren. „Moon Music“ ist uneinheitlich, werden die einen sagen, bunt die anderen. Es ist in jedem Fall eine Revue der vielen Sounds für die Coldplay stehen und die sie umarmen – bis hin zu afrikanischen Rhythmen. Und damit ist dieses Album, wo Martin schon die Beatles bemüht hat (auf deren altem Label Parlophone Coldplay-Platten erscheinen) verwandt dem „White Album“ (1968) der Fab Four – das vom kinderliedhaften „Ob-la-di, Ob-la-da“ bis zum politischen Rocker „Revolution“ reichte.

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Von „twelve proper albums“, also „zwölf richtigen Alben“ sprach Martin im Gespräch mit Zane Lowe. Schließt das Soundtracks oder Coveralben aus? Man ist in jedem Fall auf die beiden fest versprochenen Nachfolger gespannt und stellt zunächt mal „Moon Music“ auf „repeat“. Hat man wirklich lange nicht mehr gemacht mit einem Coldplay-Album.

„Moon Music“ beginnt mit dem naiven Vertrauen auf eine Welt der Liebe im Titelsong und schließt mit der Liebe in der Suite „One World“, in die Coldplay das Seufzen zahlloser Fans eingewoben haben. Die famous last words hier lauten: „In the end it‘s just love.“ Und das ist, wie schon die Beatles wussten und was heute so vielen entfallen zu sein scheint, „all you need“.

Coldplay – „Moon Music“ (Parlophone, erscheint am 4. Oktober)



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