Kris Kristofferson gestorben: Country-Superstar von Linksaußen


Die Aufmerksamkeit des großen Johnny Cash zu bekommen, war schwer. Aber wenn man sie einmal erlangte, konnte sie ein Sprungbrett sein. So war es bei Kris Kristofferson. Als Putzmann bei Columbia Records eine Kassette mit eigenen Songs in die Hand von June Carter Cash zu drücken, hatte nicht funktioniert. Denn Cash legte sie auf den Stapel mit anderen Kassetten anderer Songwriter, die mit seiner Hilfe springen wollten.

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Mit dem Helikopter landete er bei Johnny Cash

Also landete der ausgebildete Pilot Kris Kristofferson eines Sonntagmorgens mit einem Hubschrauber auf Cashs Grundstück. Er solle verschwinden, grollte Cash. Das werde er tun – würde Cash sich nur einen Song anhören. Der gab schließlich nach und lernte „Sunday Morning Coming Down“ kennen. Und wollte das Lied umgehend aufnehmen. So kam die Karriere von Kris Kristofferson, der nun im Alter von 88 Jahren in seinem Haus auf Maui (Hawaii) starb, in Schwung.

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Country, das war 1970 Musik über das Land, das Heimatstädtchen und die Mama. Country festigte weibliche Unterordnung und männliche Dominanz. Country war patriotisch und konservativ. Und da war nun dieser langhaarige Typ, der ganz offensichtlich Drogen nahm und mit dem Bürgerschreck Dennis Hopper („Easy Rider“) in Peru an „The Last Movie“ gearbeitet hatte, bei der jährlichen Verleihung der Country Music Association Awards. Und bekam für „Sunday Morining Coming Down“ auch noch die Auszeichnung für den Song des Jahres.

Der Applaus für den langhaarigen Gewinner blieb spärlich

Das Establishment versank in den Sitzen, als Kristofferson – ein ehemaliger Oxford-Student, Spross einer texanischen Offiziersfamilie – die Bühne der Grand Ole Opry betrat und den Preis entgegennahm. Von seiner Dankesrede verstand man nur den Namen Johnny Cash, der Applaus blieb dünn und kühl, und Moderatorenlegende Tennessee Ernie Ford zog die skeptische Augenbraue höher als Mister Spock.

Nashville, ob bereit dafür oder nicht, wird lernen müssen, mit Kris Kristofferson zu leben – schon deswegen, weil er zurzeit der coolste Songwriter ist.

Paul Hemphill, 1970 in der „New York Times“

Aber Kristofferson war drin. „Kris Kristofferson ist der neue Nashville-Sound“, titelte die „New York Times“ (NYT) am Nikolaustag 1970. „Nashville, ob bereit dafür oder nicht“, schrieb NYT-Autor Paul Hemphill, „wird lernen müssen, mit Kris Kristofferson zu leben – schon deswegen, weil er zurzeit der coolste Songwriter ist.“

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Auch Kristoffersons Familie war nicht erbaut über den Szenenwechsel des Sohnes, der bei der US Army im Rang eines Captains stand und eine Anstellung an der Militärakademie West Point hätte haben können. 25 Jahre lang redete die Mutter nicht mehr mit ihrem Sohn. „Der General war darüber nicht so schockiert wie die Frau des Generals“, sagte Kristofferson 2008 in einem Interview der britischen Tageszeitung „The Guardian“.

Kristofferson – ein Linksaußen mit Nähe zu Bob Dylan und Joan Baez

Der Stolz der traditionellen Nashville-Szene wurde der Texaner, der die Nähe zu verdächtigen Linksmusikanten wie Bob Dylan und Joan Baez pflegte, nie. Seine Landstreicherballade „Me and Bobbie McGee“ wurde ausgerechnet in der Version seiner Ex, der verrückten Woodstock-Blueshexe Janis Joplin, ein Hit. Die Sängerin, die im Oktober 1970 an einer Überdosis Heroin gestorben war, stand im Februar 1971 postum auf Platz 1 der US-Charts: „Busted flat in Baton Rouge“. Der Song ging um die Welt.

Kristofferson-Country hatte fortan und für immer den Nimbus von Protestsongs. Mit Johnny Cash, Waylon Jennings und Willie Nelson formierte der bekennende politische Linksaußen 1985 die Countryrebellen-Band „Highwaymen“. Als 1992 ausgerechnet bei einem Bob-Dylan-Tribute-Konzert die irische Protestsängerin Sinéad O‘Connor ausgebuht wurde, weil sie kurz zuvor als Protestaktion öffentlich das Papstfoto ihrer Mutter zerrissen hatte, bezog er Stellung gegen ein offenkundig nur noch unterhaltungsseliges Publikum: „Lass dich von den Bastarden nicht unterkriegen“, flüsterte er O‘Connor ins Ohr. Und blieb bis zu ihrem frühen Tod im Juli 2023 ihr Verbündeter.

Sexy durch Liebesszenen mit Barbra Streisand

Drei Mal war der Vater von neun Kindern verheiratet. Mit seiner zweiten Frau, der als „Delta Lady“ bekannten Sängerin Rita Coolidge, nahm er in den Siebzigerjahren vier Duettalben auf. Bald schon galt der eben noch vom Nashville-Establishment geschmähte Gammler als attraktiv – mit seinem grollend rauen Bariton, seinem silbergrauen Bart und diesen offensiven Blicken. Inzwischen trugen alle Männer die Haare länger, und als er mit Barbra Streisand im Musikerdrama „A Star Is Born“ (1976) knutschte, wurde Kris Kristofferson zum Sexsymbol.

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Knutschen mit der Streisand: Durch das Remake des Musikerdramas „A Star Is Born“ (1976) wurde Kris Kristofferson zum Sexsymbol. Für die Rolle des John Norman Howard bekam er den Golden Globe.

Knutschen mit der Streisand: Durch das Remake des Musikerdramas „A Star Is Born“ (1976) wurde Kris Kristofferson zum Sexsymbol. Für die Rolle des John Norman Howard bekam er den Golden Globe.

Kristofferson war stolz auf das gefloppte Epos „Heaven‘s Gate“

Bis 2018 trat er in Filmen auf, zuletzt 2018 in „Blaze“, einem Biopic über den skurrilen US-Songwriter Blaze Foley. Seine erfolgreichste Hollywoodzeit aber waren die Siebzigerjahre: Für „A Star Is Born“ erhielt er den Golden Globe, Sam Peckinpahs Trucker-Western „Convoy“ (1978) wurde ein Publikumshit, und Michael Ciminos zunächst geflopptes Epos „Heaven‘s Gate“ (1980) wurde von Kritikern später in den Rang eines Klassikers erhoben. „Ich werde stolz auf diesen Film sein, solange ich im Geschäft bin“, sagte Kristofferson. „Für mich ging es in dem Film um den amerikanischen Traum, und er zeigt einen der grundlegenden Fehler in diesem Traum – die Vorstellung, dass Geld wichtiger ist als Menschen.“

In den frühen Zehnerjahren pflegte Kristofferson auf die Frage „How are you?“ mit einem geknarrten „Old“ zu antworten, hatte zunehmend Probleme, sich zu erinnern, was er auf Schläge zurückführte, die er in seiner Jugend beim Football und Boxen eingesteckt hatte. Alzheimer wurde 2013 bei ihm vermutet – eine Fehldiagnose, wie sich herausstellte. Er hatte sich stattdessen mit dem Borrelia-burgdorferi-Virus infiziert, das durch Zeckenbisse übertragen wird. Und so kehrte er 2016 zurück.

Lieber ein Konzert für Fans als den Preis fürs Lebenswerk

Dass Nashville immer noch Nashville ist, bewiesen die Country Music Association Awards 2019, wo Rapper Lil Nas X und dessen Superhit „Old Town Road“ (wegen „Mangel an Country-Elementen“) ähnlich distanziert aufgenommen wurden wie 49 Jahre zuvor die Person Kristofferson. Der war gar nicht erst gekommen, um seinen Willie-Nelson-Preis fürs Lebenswerk abzuholen. Er hatte Wichtigeres vor, gab ein Konzert in Davenport, Iowa. Eines seiner letzten. Das letzte Lied, das er öffentlich sang, war am 20. Januar 2020 in Miami „Please Don‘t Tell Me How The Story Ends“. 2021 ging er dann offiziell in den Ruhestand.

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Jetzt ist die Kristofferson-Story zu Ende. Und die Welt ist um eine wichtige Stimme ärmer geworden. Die Lieder bleiben. Eines ist wie gemacht für diesen Tag, es ist eines seiner schönsten und tröstlichsten und umarmt die Trauernden: „Help me make it through the night.“



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