Kein Mann fürs flache Schubidu


Er hatte alles erreicht – eine grandiose Karriere: zahllose Hits, ein Millionenpublikum, ein Leben im Rampenlicht. Er hatte Songs für Sammy Davis Jr. und Shirley Bassey geschrieben, einen Grammy gewonnen. Doch fragte man Udo Jürgens gegen Ende der Nullerjahre nach den Zielen, die er noch hatte, verwies er darauf, dass Musikmachen bei ihm nichts mit Raffgier zu tun habe. „Ich bin Musiker aus Passion“, versicherte er, und dass es durchaus vieles gebe, was er noch gern ausprobieren würde – etwa eine Aufführung seiner sinfonischen Dichtung „Die Krone der Schöpfung“ bei den Salzburger Festspielen mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern. Dann zitierte er einen seiner damals neuen Songs: „Die Träume sind unser Rückenwind“. Und lachte leise.

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Udo Jürgens war der, auf den sich alle einigen konnten

90 Jahre wäre der vor zehn Jahren verstorbene Musikträumer Udo Jürgens an diesem Montag alt geworden. Der 1934 unter dem Namen Jürgen Udo Bockelmann im österreichischen Klagenfurt Geborene war der, auf den sich alle in deutschsprachigen Landen einigen konnten: Pop-, Rock-, Schlager-, Jazz-, Chanson- und sogar Klassikfans. Spätestens nach seinem Eurovision-Song-Contest-Sieg 1966 mit „Merci, Chérie!“ (für Österreich) hatten ihn alle Deutschsprachigen auf dem Schirm.

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Jürgens‘ Lieder waren geschmacksübergreifend, und selbst wer ihn beharrlich zum Schlager rechnete, dem seichtesten Genre, bescheinigte ihm doch eine besondere Tiefe. Mehr als 1000 Songs hat Udo Jürgens geschrieben, 105 Millionen Platten verkauft. Seine Hits sind inzwischen „Volksmusik“ – im besten Sinn.

Ich bin nachts in den Stadtpark geschlichen und hab‘ dem Johann Strauß eine Rose auf die Geige gelegt.

Udo Jürgens über eine persönliche Tradition der Dankbarkeit

Er hatte selbst einen breiten Musikgeschmack, den er seinen Kindern John und Jenny weitergab: „Alan Parsons Project, Robert Palmer, Toto, Queen“, erinnert sich sein Sohn John, Schauspieler und DJ, gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland an die Musik im Hause Jürgens. „Der Papa hat mir viele Schallplatten geschenkt und mich damit musikalisch auf die Reise geschickt.“

Selbst war Udo Jürgens schon als Teenager auf seiner Reise. Mit 16 gewann er seinen ersten Kompositionspreis bei einem ORF-Wettbewerb. „Meine Mutter ist mit mir nach Wien gefahren“, erzählte er einmal, „und ich bin nachts in den Stadtpark geschlichen und hab‘ dem Johann Strauß eine Rose auf die Geige gelegt – bin da raufgestiegen.“ Das machte er dann zur Tradition. Eine Dankesrose für das Denkmal des Walzerkönigs – „immer, wenn etwas besonders Tolles passiert ist“.

Eine unbelegte Vermutung über Zigarettenrauch in Jazzlokalen

In Interviews sprach er mit dem unverwechselbaren „Aber bitte mit Sahne“-Timbre stets Druckreifes, niemals Halbgedachtes. Er war auf vielen Gebieten bestens informiert, nie um eine Meinung verlegen, die er konsequent so souverän vortrug, dass selbst Unsinn wie Weisheit wirkte. EInmal forderte Jürgens zum Beispiel „Zigarettenrauch und schlechte Luft“ in Jazzlokalen, weil dann die „Musik umso besser“ würde. Tatsächlich? Egal. Udo Jürgens hat es gesagt.

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Nie führt er Gespräche mit jener kühlen Künstlichkeit, die so vielen Künstlerinnen und Künstlern eigen ist, sondern vermittelte so etwas wie aufrichtiges Interesse an seinem Gegenüber. Das begann bei ihm schon mit der Wahl des passenden Ortes. War die Hotelbar zu unruhig, ging es ins Kaminzimmer, dorthin, „wo man auch versteht, was der andere sagt“.

Udo Jürgens war keiner fürs Schubidu. Die Gesellschaft, in der er lebte, verwandelte er in Lieder. „Griechischer Wein“ war seine Forderung nach Inklusion von Migranten, das „Ehrenwerte Haus“ eine Tirade gegen Spießer, Sexisten und Rassisten, die Nach-uns-die-Sintflut-Haltung angesichts des Klimawandels thematisierte er in „Tanz auf dem Vulkan“ und eine zunehmende Gewaltbereitschaft in „Was ist das für ein Land“.

Udo hätte viele Mittel und Wege gefunden, den Finger in die Wunde zu legen.

Jenny Jürgens, Tochter von Udo Jürgens, darüber, wie ihr Vater mit dem Deutschland von heute umginge

Über soziale Ungerechtigkeit sang Udo schon 1971 in „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ und erwähnte darin die „dunkle Tiefe“ deutscher NS-Vergangenheit. Wie er die Welt, das Land von heute, finden würde, wo es für das Vaterland wieder Richtung „dunkle Tiefe“ gehen könnte? „Udo hätte viele Mittel und Wege gefunden, den Finger in die Wunde zu legen“, ist sich seine Tochter Jenny Jürgens, Schauspielerin, Sängerin und Moderatorin, sicher. „Ohne zu verletzend zu sein – gleichzeitig aber sehr deutlich, seine Position und seine Meinung kundzutun.“

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Privat? Zwei Ehen, vier Kinder (zwei ehelich, zwei unehelich), nur gute Worte über die Seinen, aber keine Bestrebungen, das Alleinsein nach der zweiten Scheidung noch mal dauerhaft aufzugeben: „Ich denke nicht eine Sekunde darüber nach“, versicherte er 2009 der Deutschen Presse-Agentur, „dass ich noch mal den Versuch machen sollte, eine Frau dadurch unglücklich zu machen, indem ich sie heirate.“ Und dabei machte er keineswegs den Eindruck des verbitterten Einsamen.

Nach zehn Sekunden hab‘ ich Gänsehaut und Tränenfluss bekommen.

Udo Jürgens über seine Bewegtheit bei Aufnahmen in den Londoner Abbey-Road-Studios

Dafür gab es wohl auch einfach zu viele Erfolge. Etwa, als er die Orchestrierungen für sein 51. und vielleicht persönlichstes Album „Einfach ich“ in den Londoner Abbey-Road-Studios aufnehmen konnte – dem Beatles-Wallfahrtsort. „Ich wollte das mal sehen. Ich wollte den Zebrastreifen sehen.“ Vor allem aber wollte Udo Jürgens das Studio erleben, das Orchester. Musik bewegte den Musiker. „Nach zehn Sekunden hab‘ ich Gänsehaut und Tränenfluss bekommen“, erinnerte er sich, „sodass ich mich erst mal beruhigen musste.“

20 Jahre jünger wirkte er in seinen Siebzigern, sodass einem sein plötzlicher Tod kurz vor Weihnachten 2014 noch längere Zeit unwirklich vorkam. Er ist fort – und fehlt bis heute. Und endlich hat auch ihm die Plattenfirma im übertragenen Sinn seine Rose geschenkt, die schon zu Lebzeiten überfällige Best-of-Box. „Wir haben aus fast 550 weltweit erschienenen Singles 90 Titel für die Geburtstags-Edition ‚Udo 90‘ ausgewählt“, erzählt John Jürgens. Der Albumtitel sei bewusst angelehnt an die legendären Tourneen „Udo 70″ und „Udo 80″ und die zugehörigen Platten. Am vergangenen Freitag ist „Udo 90″ erschienen. Viele Hits sind darauf, viele Kostbarkeiten.

Auch ein bisher unveröffentlichtes Stück findet sich darauf, das 91., ein Liebesendzeitlied. „Es gab nur eine Demoaufnahme des Songs, die ein Archivar im Musikarchiv der Plattenfirma entdeckt hat“, berichtet John Jürgens. „Wir waren beim ersten Hören sofort elektrisiert, wir hatten alle Tränen in den Augen. Und dann noch die Titelzeile – ,Als ich fortging´.“

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„Glück“, sagte Udo Jürgen Bockelmann einmal, „ist ein kurzes Wort von kurzer Dauer.“ Ein Glück war es, ihn zu haben, ein Glück, dass seine Lieder geblieben sind. Lieder vom freien Denken, Nicht-Bange-machen-Lassen, vom bewussten Leben, vom Traumtanzen und von Sehnsuchtsverwirklichung. Für immer nachzuhören – und für immer energetisch.

Neue Albumbox: Udo Jürgens – „Udo 90″ (Sony)



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