Neuer Song „Als ich fortging“ – Produzent Curt Cress im Interview


„Ich hab noch was vergessen hier bei dir“, singt die Stimme, die allen deutschen Babyboomern vertraut ist. „Etwas blieb zurück hinter dieser Tür.“ Seit Freitag ist der Song „Als ich fortging“ von Udo Jürgens auf dem Markt, ein Abschiedslied, Liebesendzeitlied, eins des Bedauerns über den Wunsch nach einer Rückkehr in eine vertraute, aufgegebene Zweisamkeit. Ob Erkenntnis und Sehnsucht zu einem gemeinsamen Neuversuch des Ich-Erzählers mit seiner immer noch Liebsten reichen, erzählt das Lied nicht – es ist eben ein Chanson, kein Happy-End-Schlager. Seit 1985 lag „Als ich fortging“ im Archiv, jetzt wurde er als erster neuer Song nach dem Tod von Udo Jürgens im Jahr 2014 veröffentlicht. Ein Geschenk an die Fans zum 90. Geburtstag von Jürgens (am 30. September), produziert von der Schlagzeuglegende Curt Cress, der für die Aufnahme bewusst kein Schlagzeug verwendet hat. „Weil es hier keiner braucht“, sagt der 72-Jährige im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Ohne ist doch wunderbar.“

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Herr Cress, was ist anders, wenn man den Song eines verstorbenen Künstlers bearbeitet? Hat man da Ehrfurcht? Oder ist es eine Arbeit wie alle anderen?

Nein, das ist etwas ganz anderes. Vor allem, wenn es um einen Künstler geht, den man selbst kannte. Ich habe bei zwei LPs von ihm Schlagzeug gespielt. Es ist dann erst etwas spooky, wenn man diese vertraute Stimme hört. Vor allem, wenn man sie „alleine“ hat, und Udo zu dir singt. Nachdem wir die Instrumente extrahiert, die Stimme von der alten Musik „befreit“ hatten, war das schon sehr strange.

Wie kam der Song zu Ihnen?

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Thorsten Sack, der Leiter des Backkatalogs von der Plattenfirma Sony, hat bei der Chefin meines Labels nachgefragt, ob ich das machen würde. Wir haben uns in Berlin getroffen, ich wollte das Stück aber erst einmal hören und sehen, ob mir dazu etwas einfällt. So ging das los.

Ihnen ist etwas eingefallen. Wie bekommt man bei einer solchen Produktion das Gefühl dafür zu wissen, was der Künstler, der ja nicht mehr befragt werden kann, mit dem Song wollte, wie er ihn klingen lassen wollte?

Ich habe schon versucht, in seinem Sinne zu denken. Und bei Udo ist das Allerwichtigste, dass die Stimme und die Geschichte, die sie erzählt, im Vordergrund stehen. Ob da jetzt ein Streichquartett dabei ist oder Keyboardflächen, ist zunächst sekundär – Udo muss gut rüberkommen. Ich habe deshalb meinen Kollegen Udo Arndt gebeten, die Solostimme noch auf Frequenzen zu untersuchen, damit sie klingt wie live gesungen. Das ist nötig, denn wenn man die Stimme technisch herauslöst, kommt es zu Frequenzen, die nicht immer angenehm sind. Udo Arndt hat für mich die besten Ohren Europas. Der hat die Stimme so schön bearbeitet, dass sie alleine für sich wunderbar klingt.

Ich bin in „Welten“ gegangen, die anders sind als die alte, vertraute Udo-Welt.

Curt Cress,

über die Arbeit am Song „Als ich fortging“

Wie ging es dann weiter?

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Die Frage war zunächst: Wie will ich das 2024 produzieren – à la Adele oder eher Billie-Eilish-mäßig? Was würde Udo heute wollen? Ich habe es ausprobiert, bin in solche „Welten“ gegangen, die anders sind als die alte, vertraute Udo-Welt. Ich habe aber sehr schnell gemerkt, dass diese modernen Flächen und Grooves überhaupt nicht funktionierten, sobald Udo anfing zu singen. Das klang alles aufgesetzt, das war nicht mehr Udo Jürgens. Deshalb bin ich wieder in die traditionelle Richtung gegangen – mit Klavier und Streichern. Ich wollte auch, dass richtig gespielt wird und nicht automatisiert produziert wird. Damit man Menschen hat, die bei Udo sind. Und dann habe ich das Ergebnis irgendwann losgeschickt.

Und die Reaktion?

Udos Kinder John und Jenny und auch die Leute bei der Sony waren begeistert.

Zur Person: Udo Jürgens

Der österreichische Sänger, Komponist und Pianist Udo Jürgens (eigentlich Jürgen Udo Bockelmann) wurde am 30. September 1934 in Klagenfurt geboren. Das Klavierspiel hatte er sich zunächst selbst beigebracht, später studierte er Musik – unter anderem am Salzburger Mozarteum. Jürgens zählte spätestens seit seinem Eurovision-Song-Contest Sieg 1966 mit „Merci Chérie“ für Österreich (damals hieß der Wettbewerb noch Grand Prix Eurovision de la Chanson) zu den großen deutschsprachigen Entertainern des Pop. Seine Top-Ten-Hitserie dauerte bis Anfang der 80er-Jahre, danach war er vornehmlich mit seinen Alben erfolgreich. Mit dem Juke-Box-Musical „Ich war noch niemals in New York“ und einer Version des Titelsongs durch die Band Sportfreunde Stiller feierten seine Klassiker 2007 ein Comeback. Letztes Album war im Februar 2014 „Mitten im Leben“.

Am 30. September wäre Udo Jürgens 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erscheint am 27. September das Album „Udo 90″ (als 5-CD-Box) mit 91 Singletiteln, die zwischen 1956 („Es waren weiße Chrysanthemen“) bis 2014 („Zehn nach Elf“) reichen.

„Als ich fortging“ beginnt als melancholische Klavierballade und wird dann zu einem mächtigen Stück – fast, als wär’s ein James-Bond-Song.

(lacht) Bond! Das sagen alle! Aber Udo legt im Refrain ja auch extrem los. Da muss man ihm schon was geben – sonst ist der ja ganz alleine. Bläser wollte ich nicht nehmen, das wäre, glaube ich, kitschig geworden.

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Sie haben mit Udo Jürgens zu dessen Lebzeiten zwei Alben eingespielt. Wie war er so?

Udo habe ich auf einer Party des Liedtexters Michael Kunze kennengelernt. Da sagten wir nur „Guten Abend“. Man hatte ja keine Berührungspunkte. Im Studio hatten wir die dann schon, weil man da gemeinsam versucht, etwas Schönes zu machen. An diesem Punkt hört jede „Starnummer“ auf. Man hört sich das Ergebnis einer Aufnahme in der Regie an, diskutiert, was man anders machen könnte. Man arbeitet, verbringt Zeit miteinander, geht essen, arbeitet wieder. Und danach ist man – wenn so eine Platte fertig ist – ein bisschen miteinander verwandt (lacht).

War Udo akribisch?

Das ist im Studio eher die Aufgabe des Produzenten, und Harold Faltermeyer war sehr akribisch. Udo? Nein – Udo war ein singender Pianist (lacht). Aber wenn an den Texten und der Komposition selbst gefeilt wurde – bei diesen Arbeiten war ich ja nicht dabei –, da war er bestimmt sehr akribisch.

Warten noch mehr unbekannte Songs im Udo-Jürgens-Archiv?

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Ich habe gehört, dass es einiges an Demos gibt. Aber es war anscheinend für die Familie und die Plattenfirma erst mal nichts dabei, was einer Veröffentlichung wert gewesen wäre. Ich nehme an, wenn noch ein Stück wie „Als ich fortging“ gefunden worden wäre, hätten wir das auch noch gemacht.

Ich wollte Udo in seiner virtuosen Darbietung nicht rhythmisch begrenzen.

Curt Cress,

über den Verzicht auf ein Schlagzeug bei „Als ich fortging“

Hat die Arbeit Spaß gemacht?

Sehr viel Spaß. Das für Udo tun zu dürfen, war auch eine große Ehre. Und ich habe dadurch noch viel mehr Ehrfurcht vor seinem Gesang bekommen. Was für ein Timing! Mein Schlagzeugfreund Werner Fromm fragte: „Wo ist denn da die Metrik?“ Und ich sagte: „Vergiss mal die Metrik.“ Deshalb habe ich auch kein Schlagzeug verwendet, wie es auf der Originalaufnahme zu hören war. Ich wollte Udo in seiner virtuosen Darbietung nicht rhythmisch begrenzen. Sein Gesang ist relativ frei, groovt aber komischerweise trotzdem. Ein Schlagzeug hätte mir da wehgetan.

Sie haben auf Ihr ureigenes Instrument verzichtet.

Genau. Weil es hier keiner braucht. Ohne ist doch wunderbar.

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Wie klang denn die Urversion? Und wie wurden die Instrumente abgetrennt? Wie im Vorjahr beim angeblich letzten Beatles-Song „Now And Then“?

Das ist eine ähnliche Technik. Es gibt Programme, die bestimmte Frequenzen löschen können. Mit Klavier und elektrischem Fenderklavier klang die Rohversion so Barpianojazz-mäßig. Udo hat das damals vielleicht so gewollt, aber der Song ist chansonesk, und das neue Arrangement ragt mehr in die Chansonwelt hinein als die beiden Klaviere.

Mochten Sie eigentlich den neuen Beatles-Song?

Klingt komisch. Ich war elf, als die Beatles auf den Markt kamen. Das Feeling von damals kommt bei mir beim neuen Song nicht auf. Der kommt mir eher kitschig vor. Der Kopfmensch Lennon hätte das nicht gewollt, glaube ich. Ist eher Paul McCartneys Welt.

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Warum hebt man überhaupt solche Archivschätze? Für wen ist das?

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Für die Fans. Und wenn es wertvoll ist wie „Als ich fortging“ gibt das den Fans ja auch etwas. Warum also nicht? Der Song war kein Ausschuss, er kam nur nicht auf das damalige Album, weil er nicht ins Konzept passte. Sonst wäre er 1985 schon veröffentlicht worden.

Fast zehn Jahre nach seinem Tod – fehlt Udo Jürgens?

Die Lücke ist nicht ausgefüllt. Ich vergleiche Udo Jürgens mit einem Elton John, einem Udo Lindenberg oder Herbert Grönemeyer. Er hat seine eigene musikalische Welt. Da kann sich niemand danebenstellen und das kann schon gar niemand toppen.

Und wird seine Musik bestehen bleiben? Wird man Udo Jürgens’ Lieder noch in 50 Jahren singen?

Ja. Auf jeden Fall. Vielleicht nicht „17 Jahr, blondes Haar“, aber da sind so viele Klassiker in seinem Werk – die bleiben oder kommen wieder. Wie jetzt Peter Schillings „Major Tom“ wiederkam, auf dem ich auch Schlagzeug gespielt habe. Ein alter Song wird für irgendetwas wie eine Fußball-EM verwendet – und dann knallt’s wieder.

Curt Cress 2023 im Studio seines Hauses – der Schlagzeuger, Komponist und Produzent hat zuletzt den Song „Als ich fortging“ aus dem Nachlass von Udo Jürgens produziert. Im nächsten Jahr geht er wieder auf seine„Drum Talk“-Tour.

Curt Cress 2023 im Studio seines Hauses – der Schlagzeuger, Komponist und Produzent hat zuletzt den Song „Als ich fortging“ aus dem Nachlass von Udo Jürgens produziert. Im nächsten Jahr geht er wieder auf seine„Drum Talk“-Tour.

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Curt Cress (72) ist einer der berühmtesten deutschen Rockmusiker, ein Rock- und Jazzschlagzeuger, zudem Musikproduzent. Der gebürtige Hesse ist auf 12.000 veröffentlichten Songs und auf 400 Millionen verkauften Tonträgern zu hören. 15-mal war er „Drummer des Jahres“ in Deutschland. Mit 17 Jahren gründete Cress mit drei Musikern seine erste eigene Band – Orange Peel. Der Mann mit dem fotografischen Gedächtnis für die Abläufe von Songs war Bandmitglied bei – unter anderem – Klaus Doldingers Passport und Spliff sowie Gast bei Studioaufnahmen und in Konzerten von Freddie Mercury, Peter Maffay und Ike & Tina Turner. Auch als Produzent von Musikern wie Nena, Nina Hagen oder Uwe Ochsenknecht hat sich Cress einen Namen gemacht.

2023 startete er das Bühnenprogramm „Drum Talk“, in dem er mit seinem Interviewer Werner Fromm und zu Videos von seinen Begegnungen mit Popstars erzählt. 2025 geht Cress damit wieder auf Tour.



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