Deutschlands politischste Hip-Hop-Band macht auch Punk


„Ich mag, wenn du mir sagst, dass du mich magst“. Von wem stammt die Zeile? Könnte von Chris Roberts sein, von Vanessa Mai oder von den Pop-Biedermeiern Pur. Ist aber von der Antilopen Gang. Wie auch diese Zeile: „Es ist so schön, das Leben ist schön“. Von Anti- zu Prolopen? Machen die jetzt Schlager?

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Nope. Das neue Album „Alles muss repariert werden“, das den Song enthält – und das in einer Zeit erscheint, in der einem vieles unreparierbar vorkommt – wirkt im Gegenteil dunkler als die vorherigen des rheinländisch-berlinerischen Dreigespanns. Die Band fasste schon 2014 das Erstarken einer gewalttätigen Ultrarechten in einen Song: „Beate Zschäpe hört U2″ erzählte von Weinerlichkeit und Wut an bösen Stammtischen, von Verschwörungstheoretikern, Hetzern und Antisemiten. Alles, was schon damals wahr war, nicht wahrgenommen wurde, ist heute erschreckend greifbar geworden.

Eine der politischsten Rapgruppen der Republik

Antilopen Gang – entstanden ist die Band in den Nullerjahren aus einem linken Online-Netzwerk. Beginn mit Mixtapes, mit Auftritten an Kleinstorten. In den frühen Zehnern holten sich Danger Dan (Daniel Pongratz), Panik Panzer (sein Bruder Tobias) und Koljah (Kolja Podkowik) einen Vertrag beim Label der Toten Hosen, JKP (Jochens kleine Plattenfirma), ab. Inzwischen haben sie ein eigenes, augenzwinkernd „Antilopen Geldwäsche“ betiteltes Dach für ihre Musik. Panik ist Toningenieur und Produzent. In Eigenregie sind sie aufgestiegen zur – neben vielleicht noch den Berlinern K.I.Z. – spannendsten und politischsten Rapbands der Republik. Das Herz schlägt links. Aber deshalb ist man nicht linksblind.

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Der Song „Oktober in Europa“ ist entsprechend auch auf dem neuen Album zu finden. Das Lied, mit dem man im Frühjahr für Aufmerksamkeit und Aufruhr sorgte, enthält in der Albumversion ätherische Verstärkung durch Sophie Hunger. „Es tut mir leid“, wehklagt die Schweizerin vorab. Erzählt wird vom Antisemitismus in Deutschland und Europa und wie er mit Israels Krieg gegen die Hamas in Palästina nicht mehr nur von rechts und von islamischer Seite, sondern auch von links kommt, wie sich die Stimmen des Menschenhasses unter die Kritiker einer (unverhältnismäßigen) israelischen Kriegsführung mischten.

Ich wollt‘ ja zur Antifa-Demo gegen Judenhass / aber es gab keine in Berlin – gute Nacht.

Danger Dan im Song „Oktober in Europa“

Zeilen wie „Und der Kanzler hört sich so bestürzt an / danach trinkt er Tee mit den Mördern“ brachten sogar die „Bild“-Zeitung zum Antilopenkuscheln. Aber es war eben kein Anti-Palästina-Lied, sondern eins über Schuldumkehrung, eins, das den Finger in eine unmögliche Wunde legte: dass allseits Antisemitismus heraufziehen kann im Nie-wieder-Land, von dessen Nationalsozialisten vor 80 Jahren ein Millionenmord an Juden verübt worden war. „Keine Sonne auf der Sonnenallee“, stellt Koljah fest. „War das jetzt ein Böller oder war das schon ein Schuss?“, fragt Panik. Und Danger Dan konstatiert: „Ich wollt‘ ja zur Antifa-Demo gegen Judenhass / aber es gab keine in Berlin – gute Nacht.“

Den Springer-Hype schmunzelt die Antilopen Gang weg

„Wir werden sogar von der Springerpresse gehypt“ – das mit der „Bild“ lachen die Antilopen weg in „Direkter Vergleich“, einem quatschprotzigen, kinderliedhaften Stück über den faden Gleichklang im gegenwärtigen Popgeschäft, die unerträgliche Leichtigkeit des Musizierens. „Hier das erste gute Lied seit 1970″, rappt Koljah. Das letzte sei „Let It Be“ gewesen, „und sogar das können Dan und Panzer besser als die Beatles spielen“.

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Heitere Hybris in einem Werk, das keine Erlösung will, das in „Traumtänzer und Schönmaler“ den bevorstehenden Weg in die Unfreiheit ausmalt. Dunkelheit am Ende des Tunnels, und, so Koljah: „Erst brennt die Wohnung, dann das Haus / Am Ende brennen Menschen, und dann ist es aus.“

Selbst „Das Leben ist schön“, diese Litanei der Behaglichkeit und Freuden, bringt den Hörer an ein blutiges Ende. Und die nostalgisch melancholisierte Streicheleinheit „Für wenige“ führt zum schluffigen „Sympathie für meine Hater“ samt Paniks Erkenntnis, „dass die Erde eine Scheiße ist“.

Am Ende wird das Lied vom Bandtod gerappt

Und am Ende steht das Lied vom Bandtod. Im schunkelnden „Wenn das hier vorbei ist“ will Danger Dan Tretboote verleihen „unten am Treptower Park“. Die Trübsal wird im Albumverlauf zwar auch schon mal geblasen, aber vom ersten Rapchanson „Nichts für immer“ an bleiben vor allem schweres Klavier und traurige Streicher hängen. Ein Hit? Vielleicht „Direkter Vergleich“ – der Reggae hat Refrainähnlichkeit mit „Tubthumping“ (1997), dem Ohrwurm des britischen Anarchopopkollektivs Chumbawamba: „I get knocked down, but I get up again!“.

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Und die Antilopen stehen auch wieder auf, kein Wort mehr von Auflösungserscheinungen. Denn die neue Platte, die auf dem Erfolg von Danger Dans Singer-Songwriter-Solo „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ (2021) folgt, ist ein Doppelalbum. Wie auf ihrem ersten Nummer-1-Werk „Anarchie und Alltag“ (2017) gibt es ein Obendrein in Gestalt einer zweiten Scheibe voller Punkrock. Waren es damals verwandelte alte Antilopenraps mit Punkgästen von Schorsch Kamerun bis Bela B., so sind es diesmal zwölf nagelneue Songs.

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Hier scheppern die verstimmten Gitarren, hier wird der Impetus des Fünfziger-Jahre-Rock‘n‘Roll mit bockbeinigem und rasantem Clash-&-Co.-Geschrammel verbandelt. Die Stimmen schlittern und schreien, manche Songs wie „Muttertag“ („Muttertag, Muttertag – Nazidreck“) währen kaum mehr als eine Minute, manche reißen so abrupt ab, wie Klippen eine Landschaft abreißen.

Mit den Punkstücken wird die Stimmung gelöster

Mit reichlich Krachmaninoff und Schrubberbürste auf Gitarrensaiten wird die Stimmung auch deutlich gelöster. Koljah zählt – die Ärzte lassen grüßen – in „Ich helfe nicht bei Umzügen“ Ausreden für das anstrengende Kistenschleppen auf („Bitte hilf mir trotzdem / wenn ich umzieh“), Danger Dan besieht sich „American Fitness am Hermannsplatz“ („Fast jeder, der trainieren geht, hat eine Intimfrisur / Der Mann von heute achtet halt nicht nur auf die Figur“) und man erzählt in „Mord auf dem Kreuzfahrtschiff“ und „Netter Nachbar“ schwarzhumorige Moritaten.

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Panik wagt mit „Der romantische Mann“ tatsächlich ein Liebeslied an seine Frau. „Meine Hochzeit wird die schönste, die es gibt“, singt er und schnulzt von einer „weißen Kutsche, gezogen von zwei weißen Schwänen“. Aber das ähnelt halt kein bisschen Peggy Marchs „Wir wollen niemals auseinander geh‘n“ und ähnlichem Schlagerschmacht, sondern enthält gitarrene Reminiszenzen an Dick Dales Surfversion von „Misirlou“.

In Zeiten, in denen man händeringend nach Happy Ends sucht, kann man – aber dann sollte man das Album nie wieder von vorn anhören! – eins in „Destroy“ hineinlesen, dem letzten Song. „Jetzt wird alles repariert“, singt Koljah ganz unanarchisch, unpunkisch, dem Albumtitel Folge leistend: „Nichts soll mehr kaputt gemacht werden“. Echt jetzt? Nicht mal das, was uns kaputt macht? Der Song endet selbstverständlich mit einem krassen Kaputtgehgeräusch: Ton. Steine. Und Scherben.

Die sollen ja aber Glück bringen, heißt es.

Antilopen Gang – „Alles muss repariert werden“ (Antilopen Geldwäsche), ist am 13. September erschienen.



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