„Ganze Landstriche sind abgehängt. Die coolen Kids gehen nach Leipzig, für die anderen gibt es nur Deutsch-Sein.“


Leipzig. Die Hamburger Crossover-Band Swiss & Die Andern feiert seit zehn Jahren die Imperfektion der „Missglückten Welt“ – folgerichtig haben sie auch ihr Label so genannt. Vor dem Konzert im Leipziger Täubchenthal spricht der Namensgeber Swiss im Interview über fehlenden Respekt, das Erstarken der AfD und coole ostdeutsche Kids.

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Ihr Label „Missglückte Welt“ feiert dieses Jahr zehnjähriges Bestehen. Wie sähe eine perfekte, also eine geglückte Welt 2024 aus?

Ich glaube nicht, dass es auf diese Frage die eine Antwort gibt. 2024 sieht man auf jeden Fall, wie sie nicht aussehen sollte. Bei der „Missglückten Welt“ geht es darum, zu akzeptieren, dass die Welt und die Menschen nicht perfekt sind, und das zu feiern. Wir feiern quasi unseren Untergang – mit Humor, mit Würde und mit Respekt füreinander, und ich glaube, heutzutage fehlt es vor allem am Respekt anderen gegenüber.

Warum ist der abhandengekommen?

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Die Welt ist uns durch Social Media nähergekommen, alles scheint uns direkt zu betreffen, und wir fühlen uns oft getriggert durch andere Meinungen. Aber egal, wie sehr uns andere Meinungen stören, wir müssen sie eigentlich aushalten können. Und worüber streiten wir eigentlich? Wir streiten uns gerade, wer in den USA Präsident werden sollte oder ob die Ukraine Gebiete abtreten sollte oder nicht. Das sind wichtige Themen, am Ende des Tages jedoch haben wir nur noch ein kleines Zeitfenster, in dem wir diesen Planeten retten können. Wir sollten alles beiseite packen und gucken, wie wir diese Welt lebenswert für unsere Kinder und Kindeskinder machen können .Das ist das Wichtigste.

Das sehen aber nicht alle so.

Ich glaube, die Konflikte, die ausgetragen werden, sind immer auch ein Kampf einer aus der Zeit gefallenen Generation, die will, dass es so weitergeht wie bisher, und denen, die wissen, dass es kein Weiter so mehr geben kann. Das ist keine Frage des Alters, wenn ich mir so ansehe, wie viele junge Leute beispielsweise die AfD wählen, sondern der Einstellung.

Junge Menschen werden gerne für besonders progressiv gehalten. Demzufolge zeigen sich viele von der Beliebtheit der AfD bei den unter 25-Jährigen überrascht. Wie erklären Sie sich, dass die Rechtspopulisten in dieser Altersgruppe so gut ankommen?

Ich glaube, ein Grund ist, dass man in den Phasen, in denen man nicht weiß, wer man ist, und nicht die Möglichkeiten sieht, selber dahin zu kommen, empfänglich ist für Leute, die mit markigen Slogans kommen und einem zeigen, wo es langgeht. Gerade wenn sie sich auf deinen Plattformen bewegen wie TikTok und deine Sprache sprechen und eben nicht irgendwelche Glatzen sind, die dich im Soldaten-Ton anbrüllen, sondern Leute, die du als deinesgleichen empfindest. Dann fallen schnell Grenzen, und auf einmal ist man da drin.

„Ganze Landstriche sind abgehängt“

Am Sonntag stehen Landtagswahlen in Ostdeutschland an. Sind wir noch zu retten?

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Es stellt sich doch eher die Frage, wo das herkommt. Und ich glaube, es geht hier um einen ganzen Cocktail von Gründen. Ganze Landstriche sind abgehängt. Dort kann man die Trostlosigkeit beim Durchfahren spüren. Corona spielt eine Rolle, die Flüchtlingspolitik auch. Es geht darum, Strukturen zu schaffen, den jungen Leuten zu zeigen: Hier passiert etwas. Denn das einzige, was für die sonst passiert, ist deutsch zu sein. Die coolen Kids gehen nach Leipzig, für die anderen gibt es nur Deutsch-Sein.

„Missglückte Welt“ ist nicht nur Ihr Plattenlabel, das gleichgesinnte Künstler unter Vertrag hat, der Begriff bezeichnet einen Kosmos, zu dem auch Ihre Fans gehören, die sich „Zecken“ nennen und sich in „Sippschaften“ organisieren.

Ich habe die „Missglückte Welt“ immer als eine Art Auffangbecken für Underdogs, für Ausgestoßene empfunden und gar nicht als eine weitere linke Bubble, die ich mir heranzüchte. Wenn jemand sich nicht willkommen gefühlt hat, sich gefühlt hat, als sei er oder sie nicht okay, dann sollte sich die Person bei uns aufgehoben fühlen können. Für mich sind das Label und der Kosmos drumherum ein Ort, an dem man akzeptiert wird, an dem man sein kann, wie man ist – über das Gefühl, dass es anderen genauso geht wie einem selbst.

Zur Person

Swiss (bügerlicher Name nicht bekannt) wurde 1983 geboren und wuchs in Hamburg-Altona als Sohn eines Schweizer Schauspielers und einer Theatermacherin auf. 2006 veröffentlichte er zusammen mit dem Beat-Produzenten Gin sein erstes Rap-Album „Jeder Track ein Hit“. 2014 wechselte er mit seiner Band „Die Andern“ ins Punk-Genre. Als musikalische Einflüsse nennt Swiss neben Eminem, Rio Reiser, Einstürzende Neubauten und Die Goldenen Zitronen.

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Am 30. August traten Sie mit Swiss & Die Andern im Täubchenthal auf. Das Open Air war eines von dreien, mit denen Ihre Band das 10-Jährige feiert. Was verbinden Sie mit Leipzig?

Wenn du im Osten irgendwo in den Dörfern unterwegs bist, sagen dir alle Jugendlichen, dass sie nach Leipzig gehen, wenn sie 18 sind. Da ist Leipzig schon das Ding. Die coolen jungen Leute aus dem Osten gehen da hin. Leipzig ist eine geile Fusion aus Ost und West. Die Leute sind direkt und auf eine Art auch entspannt, die Energie bei den Shows ist eine andere. Das kann ich aber für alle Städte im Osten sagen. Die Leute sind einfach aus einem anderen Holz.

Inwiefern?

Einmal kam ein Punker aus Halle zu uns, komplett verbeult, blaues Auge und so. Der hat erzählt, immer wenn er nach Hause geht, muss er in Halle durch ein Viertel, wo viele Faschos wohnen, und dort bekomme er immer auf die Fresse. Ich habe ihn gefragt, wieso er dann da lang geht. Er meinte, er könne sich das ja nicht gefallen lassen. Solche Leute kommen dann. Deswegen mag ich den Osten sehr, sehr gerne.



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