Ein Gospel für Kamala – Wie sich in den USA Musik in die Politik mischt


„Freiheit! Freiheit! Ich kann mich nicht bewegen! Freiheit! Schneide mich los!“ Der Song ist eine Walze, hat Wucht, ist eine Anrufung, ein mächtiger Gospel. Beyoncés Stimme ist kraftvoll, ihr Gesichtsausdruck im Video ernst, zornig. Das Stück ist ein feministisches Statement und eines gegen Rassismus und die Benachteiligung Schwarzer in Amerika. Der acht Jahre alte Song hat schon einiges auf dem Buckel. So war er 2020 die Hymne der Black-Lives-Matter-Proteste gegen die Tötung des Schwarzen George Floyd durch einen weißen Polizisten. Jetzt ist „Freedom“ noch politischer geworden. Es ist jetzt der Song für Kamala Harris.

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Beyoncé hat Harris, der Vizepräsidentin und wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei, die Erlaubnis gegeben, ihn als „offiziellen Song“ für ihre Kampagne zu verwenden. Der Song passt. Zeilen wie „Ich singe ‚Freiheit‘ / Denn auch ich brauche Freiheit / Ich zerbreche die Ketten selbst / Ich werde meine Freiheit nicht in der Hölle verrotten lassen“, lassen sich gegen die rückwärtsgewandten rechten Vorstellungen über Schwangerschaftsabbrüche lesen, gegen die Einschränkungen von Wissenschaft in der Schulbildung, gegen all die Abrissbirnen, die die Maga-Reps wieder und wieder gegen die Demokratie krachen lassen. Und das folgende „Hey! Ich werde weiterlaufen / Denn ein Sieger gibt sich nicht auf“, verweist auf den bevorstehenden harten Gang, der Harris bis zur Wahl im November bevorsteht.

Wie das live aussieht? Zum ersten Mal hat Harris den Song am vergangenen Montag in Wilmington, Delaware, benutzt, kam beim ersten Auftritt ihrer Kampagne zu Beyoncés „Freedom“ auf die Bühne. Sprach „Hey! Delaware!“ ins Mikrofon. Und bekam von der Menge ein skandiertes „Kamala! Kamala!“ zurück. Der Ruf der Freiheit passte zum Lachen der Kandidatin, beides versetzte die Zuschauerinnen und Zuschauer in Euphorie. Drama, Baby! Dagegen wirken die Shows des Herausforderers Donald Trump plötzlich wie unwirkliche Auftritte eines alten Dadaisten, der seltsames böses Zeug von sich gibt und trotzdem gefeiert wird.

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Frank Sinatras „High Hopes“ bekam einen John-F.-Kennedy-Text

„Freedom“ von Beyoncés sechstem Studiowerk „Lemonade“, ein Duett mit Rapper Kendrick Lamar, soll in den kommenden 15 Wochen bis zum Wahltag immer das Entréestück für Harris‘ sein. Ein solches Einvernehmen zwischen Politikerin und Popkönigin wie hier ist nicht die Regel. Man erinnert sich noch an Fleetwood Macs „Don‘t Stop (thinking about tomorrow)“ vom 1977er Album „Rumours“ – das 1992 die Erkennungsmelodie für Bill Clintons Kampagne wurde. Die Band spielte es dann auch bei seinem Antrittsball 1993.

Völlig ungeniert hatte Frank Sinatra 1960 mit einer Version seines Vorjahreshits „High Hopes“ für den demokratischen Kandidaten John F. Kennedy getrommelt: „Everyone is voting for Jack / cause he‘s got, what all the rest lack.“ Und wer das mit Jack noch nicht verstanden hatte, der hörte wenige Sätze später Frankieboys Klartext: „Kommt und wählt Kennedy!“

Warum versteht Amerika den Text von „Born in the USA“ nicht?

Öfter haben Popstars Einwände, wenn Politiker ihre Songs vereinnahmen. Wohl vor allem, weil damit meist verbunden wird, die Bands würden die Einstellung derer teilen, die sie verwenden. Die Band REM drohte mit juristischen Schritten, als Donald Trump ihre Songs „Losing My Religion“ und „Everybody Hurts“ abspielen ließ. Bruce Springsteen verweigerte Ronald Reagans Wiederwahlkampagne von 1984 seinen damals brandneuen Song „Born in The USA“ – eine Antihymne über das gesellschaftliche und ökonomische Außenseitertum von Vietnamveteranen.

Als ob der Text für Amerikaner unverständlich wäre, hat speziell dieser Protestsong vier Jahrzehnte Missbrauch für Veranstaltungen der Konservativen hinter sich – von Reagan bis Trump. Und das, obwohl Springsteen offen gegen Trump steht, ihn unter anderem als „schamlosen, toxischen Narzissten“ bezeichnet hatte.

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Folk und Rock hinterfragen Politik, sie machen sich ihr nicht dienstbar

Politische Populärmusik ist seit den Tagen von Woody Guthrie und seiner Gitarre, auf der „this machine kills fascists“ stand, in der Regel dazu da, Politik zu hinterfragen, statt sich ihr dienstbar zu machen. Auf Alben wie Son Volts „Union“ (2019) oder Will Hoges „My American Dreams“ (2018) wurde diese Fahne der Kritik und des Protests auch während der Präsidentschaft von Donald Trump gehisst. Viele Musiker sagten dem Spalter, Mauerbauer und Wahrheitsverdreher Trump den Kampf an.

„Du kannst deine Gedanken und Gebete für dich behalten“, hielt Hoge, der hierzulande wenig bekannt, in den USA aber schon lange ein großer Name ist, dem Präsidenten mit heiserer Stimme vor, der sich einfach von Waffenmassaker zu Waffenmassaker darin erschöpfte, die ewig selbe Trauerformel auszuwerfen, ohne Waffengesetze im Geringsten antasten zu wollen. „Mach endlich deine Arbeit“, drängte Hoge.

Das kann schiefgehen. In Louisiana wurden 2003 zu Zeiten des Irakkriegs große Traktoren angeworfen, die öffentlich Plattenhaufen der George-W.-Bush-kritischen Dixie Chicks zermalmten. Sängerin Natalie Maines hatte in London proklamiert: „Ich schäme mich, dass George W. Bush ein Texaner ist.“ Klartext. Rundfunkboykott. Trotz einer Entschuldigung der Band gaben Rundfunkstationen im „land of the free“ der kurz zuvor Grammy-gekürten Band mit auf den Weg, ihre Platten „doch in Bagdad zu verkaufen“.

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„Let‘s impeach the President“ – Neil Young gegen Bush Junior

Dem Woodstock-Veteranen Neil Young waren Boykotte egal: „Let‘s impeach the president“ sang er 2006 auf dem Album „Living with War“. Der in den USA lebende Kanadier grummelte, er wolle Bush Junior absetzen wegen Machtmissbrauchs, Religionsmissbrauchs, Misswirtschaft, Rassismus, erwiesener Unfähigkeit beim Untergang von New Orleans. Und natürlich wegen der Lügen (bzw. der Anpassung der Wahrheit an die Ziele der Politik), mit denen er die „Boys“ in Afghanistan und im Irak in Krieg und Tod schickte.

Beyoncé hat ihren Schritt, Harris „Freedom“ zu überlassen, bislang nicht kommentiert, ebenso wenig gibt es ein Statement der Harris-Kampagne. Aber die Sängerin, die mit der Girlgroup Destiny‘s Child bekannt wurde und zu den erfolgreichsten Popstars weltweit zählt, hatte schon lange Einsatz für die Demokratische Partei gezeigt. Drei Tage vor den US-Wahlen 2016 hatte sie bei einer Kundgebung den Song „Formation“ für die damalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton gesungen und der Menge erklärt, sie wolle, „dass meine Tochter aufwächst und sieht, wie eine Frau das Land anführt“. Schon 2009 hatte sie Etta James‘ „At Last“ beim Inaugurationsball für die Obamas gesungen, 2013 sang sie den „Star Spangled Banner“, die amerikanische Nationalhymne bei Barack Obamas zweiter Inauguration.

Ein Country-Oldie für den Oldtimer Trump: „God Bless The USA“

Einen Oldie gibt es dagegen für den neuen Oldtimer im personell veränderten US-Wahlkampf: Bei Donald Trumps Auftritten wird traditionell „God Bless the USA“ des Countrysängers und Grammygewinners Lee Greenwood gespielt, eine streicherdurchwirkte Ballade. Auch Greenwood singt von „Freiheit“. „Ich bin stolz darauf, Amerikaner zu sein / wo ich zumindest weiß, dass ich frei bin / und ich werde die Menschen nicht vergessen / die für dieses Recht gestorben sind.“ Ein Text, der die Haltung des Rep-Kandidaten ausblendet, der die amerikanischen Weltkriegstoten auf dem US-Friedhof in Aisne-Marne in Frankreich als „loser“ und „sucker“ bezeichnet haben soll.

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„God Bless The USA“ war schon das Markenzeichen von Trumps erster Kampagne gewesen. Am Montag nach dem Attentat auf Trump in Butler, Philadelphia, trat der inzwischen 81-jährige Greenwood auf der Bühne des Republican National Convention in Milwaukee höchstselbst auf – der Ex-Präsident und der Musiker sind Freunde. Verkauft hatte der konservative Greenwood den Song allerdings schon 1984 an die Grand Ole Party – für einen Dollar. Er fand damals zunächst Eingang in Werbespots für die Wiederwahlkampagne Ronald Reagans.

Greenwood sieht sein Lied als eines der Versöhnung und Einigung. Wofür Donald Trump und seine Magas definitiv nicht stehen. Er hoffe auf eine Zeit, in der sein Lied wieder frei sein wird von der Bindung an Trump, sagte Greenwood in der „New York Times“.

Nimm doch einfach zwei Dollar und kauf ihn zurück, Lee. Oder wie es Beyoncé sagen würde: „Freiheit! Schneide ihn los!“



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