Bruce Springsteen gibt Konzert in der Heinz-von-Heiden-Arena


Hannover. Müssen wir an diesem Abend über Fußball sprechen? Gut, wir sind in einem Stadion, in dem sonst mehr oder weniger professionell gekickt wird. Gut, einen Abstoß entfernt haben sich Tausende versammelt, um gemeinsam das Viertelfinalspiel der Deutschen und der Spanier zu gucken. Und, ja, in der Arena schauen viele aufs Handy und verfolgen die Live-Ticker, so gut es das deutsche Funknetz zulässt.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Aber spätestens um 19.45 Uhr ist das alles egal. Besser: Es hat egal zu sein. Denn jetzt spielt hier nur noch eine Mannschaft: Bruce Springsteen und seine E-Street-Band treten vor 43.000 Fans in Bestbesetzung Richtung Südkurve an, es wird, so viel ist sicher, länger als 90 Minuten dauern, und wenn alles normal läuft, wird es am Ende nur verschwitzte Gewinner geben. Die Sonne scheint, man hat das Gefühl, hier sehr richtig zu sein.

Die Halsadern spannen – alles okay

Der Mannschaftskapitän, so viel lässt sich schon in den ersten Minuten erkennen, ist fit. Das war in den vergangenen Wochen nicht immer so, Springsteen musste wegen gesundheitlicher Maleschen einige Konzerte streichen, äußerst widerwillig, wie man annehmen darf. Doch in Hannover, der einzigen Deutschland-Station auf der Tour, ist der 74-Jährige wieder auf der Höhe, die Halsadern spannen aus dem sauber zugeknöpften Kragen, die Energie scheint die Westenknöpfe zu sprengen – alles okay also.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Bei den Fans hat er eh schon gewonnen. Er spielt nicht für sie, er spielt mit ihnen, und er bittet nicht um Teilnahme an dieser Veranstaltung, Springsteen fordert sie aktiv ein. „Seid ihr böreit“, ruft er ins Rund, nicht einmal – dreimal. Dabei scheint sein Blick jeden zu treffen, auch hinten auf der Gegentribüne. Der Blick sagt: Wenn du nicht mitmachst, bin ich beleidigt, wenn doch, machen wir dich glücklich. Für die meisten ist das ein Deal. Der Rest ist harte Konzertmaloche auf beiden Seiten. Ohne spektakuläre Bühne, ohne Gimmicks und Effekte. Hier wird als Arbeitsgemeinschaft am Dreistundenglück geackert. In der AG Boss. „Lonesome Day“ eröffnet den Reigen, eine typisch melodische Rockwand. Nicht die letzte.

Schick wie zur Sonntagsmesse: Bruce Springsteen in Schlips und Kragen am Freitagabend in Hannover.

Schick wie zur Sonntagsmesse: Bruce Springsteen in Schlips und Kragen am Freitagabend in Hannover.

Nie das gleiche Konzert

Aber die Songliste ist fast schon egal. Die Auswahl ist nach 21 Studioalben reich und unberechenbar. Springsteen steht auf musikalische Tagesmenüs, die dem Vernehmen nach auch seine Band erst recht kurzfristig erfährt. Das hält den Geist wach und die Performance frisch, und es garantiert den vielen Springsteen-Ergebenen hier, die mehr als zehn, manche gar das X-Fache an Boss-Shows auf der Uhr haben, dass sie nie das gleiche Konzert sehen. Den alten „E-Street-Shuffle“ hat man lange nicht gehört, ähnlich wie „Into the Fire“. Und bei „Spirits in the Night“ schwingt sich der Boss zum Gospelvorsänger auf – inmitten der Erste-Reihe-Fans. Das Einer-von-uns-Ding nimmt man ihm immer noch ab.

Was allerdings Bestand hat, ist das Song-Gerüst, das sich auch in Hannover aus zwei Alben speist. „Born to run“, weil es mit dem Titelsong und „Thunder Road“ mindestens zwei Songs enthält, die Mitte der Siebziger Springsteens hochsentimentales Working-Class-Image manifestierten. Und „Born in the U.S.A.“ aus dem Jahr 1984 wegen seines monströsen Erfolgs, der Springsteen zum Weltstar machte: „Working on a Highway“, „Darlington County“, das stadionweit und fußballchorig mitgesungene „My Hometown“ und natürlich das Titelstück (als Zugabe bei vollem Fußballflutlicht) werden in Hannover ausgelassen gefeiert.

Bruce Springsteen genießt den Moment auf der Bühne.

Bruce Springsteen genießt den Moment auf der Bühne.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Ganz leise Momente

Springsteens Alben waren thematisch schon politischer – zuletzt nahm er ein Album mit Soulklassikern auf, aus dem der Commodores-Hit „Nightshift“ zu hören ist. Aber er bleibt moralische Instanz seines angeschlagenen Landes, in dem sich zwei unberechenbare Greise in unberechenbaren Zeiten um das höchste Amt streiten. Muss er dazu nicht was sagen? Nö. Der 74-Jährige spricht über Persönliches, unter anderem über den Tod. Ganz leise. Diese Momente konzentrierter Stille in solchen Arenen sind überragend. Und eine Kunst.

Genau wie die Fähigkeit, diese Stille wieder nahtlos in ein emotionales, leidenschaftliches Konzert zu beschleunigen, dessen Kraft bis in den letzten Winkel der Arena reicht. Frag den Boss. Hintenraus rollt die Party so richtig los. Alle sind dabei. Das muss der Fußball erstmal schaffen. An diesem Abend hat er aus mehreren Gründen keine Chance.

Dieser Artikel erschien zuerst in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“.



Source link

Beitrag teilen: