Der Vollsympath aus New Jersey präsentiert „Forever“ – So klingt es


Bon Jovi – was waren die doch süße Posterboys. Mächtig aufgesprayte Fönwellen, wie sie die Rocker der Achtzigerjahre damals so trugen, dazu ein strahlendes Lächeln, für Rock vergleichsweise bunte Klamotten. Und mit „Runaway“ hatte der blutjunge, aparte Sänger Jon Bongiovi 1981 einen Hit, der klang wie angerockter Teeniepop (und den Gitarrist Ritchie Sambora hasste). Als Bon Jovi dann 1984 als Support für die Scorpions auftraten, mussten sie sich auf Manifestationen der Intoleranz gefasst machen, wie sie Peter Maffay und seinen Leuten 1982 als Vorband der Rolling Stones widerfahren waren (Stichwort: fliegendes Gemüse). Es kam aber anders.

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Bon Jovi lernten von den Deutschen die Tricks der Heavyprofis. Und nach dem schwachen Zweitwerk „7800 Degree Fahrenheit“ kamen sie 1986 mit dem knackigen Millionenseller „Slippery When Wet“ und wurden Rock-Superstars. In der Disney+-Doku „Thank You, Goodnight“ erzählen Jon und seine Mannen die „Bon Jovi Story“. Und Bongiovi ist möglicherweise der sympathischste unter den Großen des Rock ’n’ Roll. Der grauhaarige 62-Jährige hat immer noch ein apartes Lächeln, und entwaffnend ehrlich ist er zudem, wenn er vor der Kamera zeigt, wie er seine Stimmprobleme nach einer Operation 2022 dauerhaft in den Griff zu bekommen versucht. Man mag ihn, schwer, ihn nicht zu mögen.

Was nur eingeschränkt für die Musik gilt. Das neue Album „Forever“ wird entgegen seinem Titel nicht zu den „ewigen“ der Band aus New Jersey zählen. Wenn Jon Bongiovi „Kiss The Bride“ singt, nicht den Elton-John-Popklassiker, sondern eine eigene, mit Akustik­gitarre und Streichern versehene „Kuschelrock“-Ballade über ihn selbst, der seine Tochter an ihren Bräutigam „übergibt“, denkt man irgendwie an „Runaway“. Von Teenierock zu Daddyschmalz.

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Die Talkbox war bei „Livin’ on a Prayer“ wirkmächtiger

Die neuen Songs sind oft nur Schatten alter Songs. Wenn man etwa den Talk-Box-Verzerrer von „Living Proof“ gehört hat, switcht man zum 38 Jahre alten „Livin’ on a Prayer“, wo derselbe Soundkniff an einem weit markanteren Song ausprobiert wurde. „Living Proof“ ist auch melodiös, keine Frage, aber er und viele seiner Bon-Jovi-Songbrüder von 2024 haben blassere Hooks, ähnlich wie es sich mit den deutschen Schlagern von heute verhält, die es in Sachen Melodiekraft nicht mit ihren Ahnen aus Opas Jugend aufnehmen können.

Mit dem Schreiben eines Songs kommst du der Unsterblichkeit am nächsten.

Jon Bongiovi in der Disney+-Doku „Thank You, Goodnight – Die Bon-Jovi-Story“

Den Anfang macht „Legendary“, ein Stadionchant mit vielfach wiederholten „Ou-ou-ou“-Gesängen. Eine Hymne auf das Gute am Kleinstadt­leben, ein Lied über Freitagabend in der kleinen Stadt, die treuen Freunde und die Freude, wenn in der Bar „Sweet Caroline“ läuft und alle mitsingen. Es ist in diesem Szenario nichts von der „Dunkelheit am Rande der Stadt“ zu spüren, wie sie Bongiovis guter Freund Bruce Springsteen sah und sieht, es gibt keinen unterschwelligen Verdacht, die das Lied bevölkernden Typen könnten bei entsprechender Aufforderung durchgeknallten Ex-Präsidenten bei Staatsstreichen behilflich sein. Dieser Euphorizer über das kleine Glück im Städtchen, wo man jede Scharte im Asphalt kennt, ist vielmehr eine Art Poppflaster fürs gespaltene Land. Calm down and rock!

„Waves“ ist eine Ballade, die unter den Bon-Jovi-Balladen nicht weiter hervorsticht. Formelhafter Text, ein 08/15-Gitarrensolo. Es folgt das treibende „Seeds“, dessen Keyboards einen netten kleinen psychedelischen Bogen schlagen, der dann größer wird. In den Strophen dieses Brummers, der an „The Diary of Horace Wimp“ vom Electric Light Orchestra gemahnt und mit seinem abschließenden Pianoakkord „A Day in the Life“ der Beatles zitiert, scheint Bongiovis Stimme nahe an der Neil Diamonds. Hey! Wo sind die Rocker Bon Jovi?

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Erinnerungen an die erste Gitarre und die alten Kiss-Scheiben

Die kommen in „The People’s House“ durch, einer groovenden Nummer der „Keep the Faith“-Kategorie, der aufhört, wenn er am schönsten ist – und in „Walls of Jericho“, einem Poprockstück mit saftigem Chorus und Tom-Petty-artigem Corpus. Es geht darum, dass er seine erste Gitarre immer noch liebt, eine Geliebte, die weiß, wie er sich fühlt, und darum, wie es damals war, im Hinterhof der Eltern die Kiss-Platten abzuspielen – „My First Guitar“ ist einer von zwei Songs hier, der es auf eine „Best of“-Platte von Bon Jovi schaffen könnten, aber garantiert auf keine „Greatest Hits“ der Band gelangen werden.

Der zweite folgt direkt danach: „Hollow Man“. Ein vergleichsweise knochiges, folkiges Stück. Da singt Bon Jovi, als habe sich die Stimme von Bob Dylan mit seiner vereint, und die Melodie lehnt sich dabei auch an Dylans „A Hard Rain’s Gonna Fall“ an: „Hier bin ich, ein unbedeutender Mann, der Geschichten über die Verheißungen des gelobten Landes erzählt.“

„Mit dem Schreiben eines Songs kommst du der Unsterblichkeit am nächsten“, sagt Bongiovi in der Disney-Doku. Und seit ihn Bruce Springsteen bei einer gemeinsamen Autofahrt auf die letzten Dinge gebracht hat, beschäftigt ihn der Gedanke der Endlichkeit. Um den Nachruhm muss er sich indes nicht sorgen. Bongiovi hat Lieder geschrieben, die bis heute überall auf dem Planeten widerhallen, er hat mit „Slippery …“ (1986), „New Jersey“ (1988), „Keep the Faith“ (1992) und dem Solowerk „Blaze of Glory“ (1990) Albumklassiker geschaffen.

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Und 2020 haben Bon Jovi mit dem politischen „2020“ Flagge gezeigt gegen Rassismus und für eine amerikanische Heilung – ein Album, das mit Songs wie „American Reckoning“ (über den Tod von George Floyd) und „Do What You Can“ (einem Ermutigungslied in Corona-Zeiten) zeigte, wie gut sie noch sein können, und das dann in der Pandemie nicht live um die Welt getragen werden konnte. Bon Jovi ist ein Weltreisender der Versöhnung – ob er aber jemals wieder auf Tour gehen kann, steht ob der Verwundbarkeit seiner Stimme in den Sternen. „Und wenn ich nicht 102 Prozent geben kann“, so verkündet er in der Disney-Doku, „sage ich lieber ‚Thank you – Goodnight‘.“

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Man möchte dieses Album also mögen. Es ist jedoch vor allem eins für die (immerhin Millionen zählende) Bon-Jovi-Gemeinde, die einfach mehr von ihrer Band will, egal was. Es wird nicht darüber hinausdringen, es gibt wenig Stoff für die Radiosender, deren Mehrzahl maximal Bon-Jovi-Oldies spielt. „Legendary“ ist nicht schlecht, ist das Beste, was sich sagen lässt. Was man zuvor auch schon über einige andere Bon-Jovi-Platten gesagt hat. Was man nie dazugefügt hat und diesmal aber doch: Nicht-schlecht-Musik ist ein Stück weg von guter Musik.

Bon Jovi – „Forever“ (Island)

Bon Jovi – „Thank You, Goodnight! – The Bon Jovi Story“, vierteilige Doku – bei Netflix



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