No Sugar, No Cream: Americana made in Germany


Die Party ist vorbei, die Helden des Songs stehen auf der Straße. Kein Abschiedskuss. Sie ist cool, er nicht so. Er tut sich schwer, wird ungehalten: „Who do you think you are / some kind of superstar?“, blendet der Sänger und Songwriter Pete Funk ein So-ungefähr-Zitat aus John Lennons Post-Beatles-Grollen „Instant Karma“ in den Refrain des Songs. Anfangs funkelt eine Akustikgitarre in Moll, eine Violine steht ihr bei, bis eine E-Gitarre dreinfährt, das Schlagzeug losrollt. Das ernste, gemächliche Stück wird jetzt treibend und laut. Folk ’n’ Rock ’n’ Roll.

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Pete Funks Stimme erweckt die Corona-Zeit des Sozialuntergangs

„Just Bear with Me“ sei ein Corona-Lied sagt Pete Funk. Die unwirklichen Jahre der Lockdowns, des Sozialuntergangs, ruft er mit seiner hellen, sacht kratzigen Stimme, in der immer ein Seufzen der Melancholie mitschwingt, in Erinnerung. „I’m singing songs all night“, so war das für den Musiker, als alles stillstand, nichts ging und man sich nach Nähe sehnte. So fängt das neue Album von No Sugar, No Cream an. „Future, Exhale“ heißt es, zehn Folk-/Indie-Rock-’n’-Roll-Gemmen sind darauf enthalten. Musik für Leute, die „Tomorrow The Green Grass“ der Jayhawks mögen oder die folkige Seite von Wilco.

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Americana nennt man das auch, und dieses in den Neunzigerjahren aufstrebende, weitgefasste Amalgam aus vielen traditionellen US-Sounds findet sich eben längst nicht nur in Amerika, es gibt reichhaltige Szenen in Skandinavien, Großbritannien, quasi überall. In Deutschland gehören No Sugar, No Cream schon länger zu den wichtigen Namen. 2018 nannte die „taz“ das zweite Studiowerk der Karlsruher, „A Bigger Picture“, ein „fabelhaftes Album“, das „Hamburger Abendblatt“ befand über den Nachfolger „Promises“ (2020), die Songs „hüllen den Hörer ein wie eine warme Decke“ und vom „Opus magnum“ der Band spricht Werner Herpell jetzt auf der Popkulturwebsite „Sounds & Books“ bezüglich „Future, Exhale“.

War „Promises“ ein Beziehungsalbum, in dessen Texten Funk das Scheitern seiner Ehe und die Angst vor dem Zerbrechen seiner Familie verarbeitete, sei „Future, Exhale“ ein Aufbruchsalbum. Der Titel hat einen guten Klang, ist das Mittelstück des esoterischen Lebensratschlags „Inhale the future, exhale the past“ (Atme die Zukunft ein, atme die Vergangenheit aus).

Ohne Milch und Zucker ist der Kaffee pur und stark.

Pete Jay Funk erklärt im Gespräch mit dem RND den Bandnamen

„Zukunft, Ausatmen“ – aber dieses Ausatmen, Durchatmen, Weiterziehen fällt nicht leicht. „Moving on“ heißt einer der schönsten neuen Songs, die angerissenen Saiten der Violine sind wie das Ticken einer Uhr, der Mann, der da weiterzieht, von der einstigen Liebe weg, ist nicht freiwillig auf der Straße, sondern wurde verstoßen. Man kann neu beginnen – „I’m sailing off to sea“, heißt es da, aber das Ticken sagt dem Hörer auch: Die Zeit läuft. Und der Held im Abschlusssong „Meet The Future“ besieht sich das Morgen mit einiger Bitternis: „Either way you choose, either way you loose – Egal, wie du dich entscheidest, du verlierst immer.“

Das Komponieren und Texten übernimmt Funk zu Hause, arrangiert wird gemeinsam im Proberaum. „Oft fällt allen gleich etwas ein, manchmal braucht es Zeit, und dann gibt es auch Stücke, die es nicht ‚tun‘, die sich in eine ‚falsche‘ Richtung entwickeln und die dann nicht mehr mein Song sind“ (Funk). „Somewhere West of Paris“ hat es im zweiten Anlauf noch von einem Verworfenen auf einen Plattenplatz geschafft. Von einem Uptemposong hat er sich in eine superwehmütige Ballade mit Pink-Floyd-Twang verwandelt. „Das Leben ist ein Honigschlecken von einem Dorn“, singt Funk auf Englisch. „Und ich tu immer noch so, als tät’s nicht weh.“ Die Liebenden dieses Lieds sehen sich womöglich nie wieder. Bye-bye, happiness.

Ihr Gesang und ihre Instrumente wurden stilprägend und brachten uns auf ein ganz neues Niveau.

Pete Jay Funk über seine Bandkollegin Heike Wendelin

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Gegründet wurde No Sugar, No Cream von Funk und Bassmann Andreas „A. J.“ Jüttner vor 23 Jahren. Es war bei einem Konzert des US-Songwriters Vic Chesnutt im Karlsruher Musikclub Substage. „Wir sahen uns an und sagten spontan: ‚Lass uns eine Band gründen‘“, erinnert sich Funk. Anfangs sei man nur eine Freizeitcombo aus Redaktionsmitgliedern der „Badischen Neuesten Nachrichten“ gewesen. 2007 stieß Schlagzeuger Frank Schäffner dazu. 2015 kam E-Gitarrist Oliver „Earl Grey“ Grauer, ein Freund Funks aus Studienzeiten. „Er ist unser ‚Dauergast‘, er wohnt in Berlin, deshalb fliegen wir ihn nur zu großen Konzerten ein.“ Der Sänger lacht. Bis 2021 spielte noch ein illustrer Gast mit: Chris Cacavas, geboren in Tucson, Arizona und Wahl-Karlsruher, Indie-Ikone, Mitbegründer und Keyboarder von Green on Red, Mitglied von The Dream Syndicate.

Der Bandname leitet sich her von einer Zeile aus einem alten Funk-Song namens „Strange Day“, einem Lied, das älter ist als die Band und das sie längst nicht mehr im Repertoire hat. „Ohne Milch und Zucker ist der Kaffee pur und stark“, erklärt Funk den Namen als Bandmotto und lacht. „A. J. fand, das passt gut zu uns, und so kam’s.“ Freilich hat sich das Milch-, Zucker- und Schnörkellose des Klangbilds längst dem Schönen ergeben, seit Heike Wendelin, zweite Stimme und Multiinstrumentalistin, sich ihnen 2013 zugesellte.

Die Musik erinnert an die verwunschenen Walkabouts der Mittneunzigerjahre

„Ab da wurde es richtig gut“, sagt der 57-jährige Funk im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „ihr Gesang und ihre Instrumente wurden stilprägend und brachten uns auf ein ganz neues Niveau.“ Und Funks Songs, die sowieso schon rechtschaffene Ohrbezwinger waren, bekamen mit den Melodielinien, die Wendelin mit Mandoline, Violine oder Viola hinzufügte, eine betörende Bittersüße. Traurigkeit zum Wohlfühlen – nachzuhören auch in vielen Liedern des von Rolf Ableiter (Frontmann des Leonard-Cohen-Tributprojekts Field Commander C.) produzierten Albums. Wie etwa „Makes My Day“, einem Schwelgen im frühen Zauber der Liebe oder „How Crazy It Can Get“, einer düsterromantischen Zeitreisestory um das Attentat auf JFK. Man fühlt sich erinnert an die Mittneunzigerjahre, als die Walkabouts aus Seattle, inspiriert von Scott Walker, John Cale und Townes van Zandt, ihren Songs durch Streicher etwas Verwunschenes gaben.

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„Future, Exhale“ ist ein Aufbruchsalbum mit all den Zweifeln, die ein Neustart mit sich bringt. Die Zukunft ist das unbekannte Land, für das man sich erst rüsten, in das man sich wagen muss. Hier ist das Quälerische eines Aufbruchs zu spüren, an dem das Gestern noch zerrt. Er wird nicht zum jodelnden Glücksritt in den zweiten Frühling, sondern so schwer, wie Unglück im wahren Leben zu überwinden ist. „End it all or move on – mach Schluss oder mach weiter“ sind die Optionen des Helden von „Come on Home“, des wohl härtesten Songs dieser Band, wo Earl Greys Gitarre einen Hard Boogie knarzt, der nach Nazareth, BTO, ZZ Top schmeckt. Der Bandname No Sugar, No Cream passt durchaus noch – schon weil sich ihre Texte keine falschen Verzuckerungen gestatten. Schwarzer Stoff.

Und noch ein PS: „Looks Like Rain“ ist der schönste Jingle-Jangle-Regensong seit CCRs „Who’ll Stop The Rain“.

No Sugar No Cream – „Future, Exhale“ (erschienen am 7. Juni, zu bestellen über die Website nosugarnocream.de und hörbar bei allen Streamingportalen – außer Spotify)



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